Akademische Vita

Bassam Tibi wurde 1944 in Damaskus in die Damaszener Notablenfamilie der Banu al-Tibi geboren. In Damaskus erhielt er auch das Abitur (das franz. Baccalauréat). Am 26. Oktober 1962 kam er nach Frankfurt und studierte dort nach dem Erlernen der deutschen Sprache Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte u.a. bei Horkheimer, Adorno, Habermas und Fetscher. Seine Promotion erlangte er ebenfalls 1971 in Frankfurt, hiernach die Habilitation in Hamburg.

Von 1970 bis 2010 folgte eine internationale, auf allen fünf Kontinenten stattgefundene akademische Laufbahn. Tibi gilt als Begründer der Wissenschaft der historisch-sozialwissenschaftlichen Islamologie als Analyse des postbipolaren Konflikts. Nach 37 Jahren der Lehre als Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen ist er seit dem 1. Oktober 2009 Emeritus. Zusätzlich war er von 2004 bis 2010 A.D. White Professor an der Cornell University, USA, neben seiner Tätigkeit als Senior Research Fellow an der Yale University, USA (2008/09). Zuvor wirkte er von 1982 bis 2000 in verschiedenen Funktionen an der Harvard University. Seinen Hauptwohnsitz hat er nach der Emeritierung in Deutschland behalten.

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Wissenschaftlicher Werdegang

Nach Assistentenzeit und einer Dozentur an der Universität Frankfurt 1971/72 wurde er 1972 an die Universität Göttingen berufen, wo er vom Sommersemester 1973 bis zu seiner Emeritierung 2009, also 37 Jahre lang, als Professor für Internationale Beziehungen lehrte. Ein Ruf auf den Stein-Rokkan-Lehrstuhl für Comparative Politics  an die norwegische Universität Bergen (durch Royal Resolution von König Olav V.) 1988 war ein wissenschaftlicher Höhepunkt. Nach der Ablehnung dieses Rufes wurde Tibi durch Bleibeverhandlungen Leiter der neu gegründeten Abteilung für Internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Islamologie. Von Juli 2004 bis 2010 war er parallel A.D. White Professor at Large an der US-Elitehochschule Cornell University. Diese Parallelposition bekam er 2004 auf der Basis der einstimmigen Nominierung von sieben Departments. Er beendete seine Laufbahn im akademischen Jahr 2008/2009 an der Yale University.

Zwischen 1982 und 2000 übernahm Prof. Tibi verschiedenen Funktionen an der Harvard University – teils beurlaubt, teils parallel zu seiner Tätigkeit in Göttingen. Diese “affiliations” begannen im akademischen Jahr 1982/83 in Harvard als Visiting Scholar. Tibi wirkte hiernach für viele Jahren als Research Associate in Harvard, ehe er dort 1990/91 als Akademie-Stipendiat der Volkswagen-Stiftung und später mit DFG-Mitteln seine Forschungstätigkeit fortsetzte. Der Höhepunkt dieser Harvard-Jahre war die Zeit zwischen 1998 bis 2000, als Tibi Bosch Fellow of Harvard war. 2004/05 kehrte er als Visiting Scholar nach Harvard zurück, um eine neue Edition seines erstmals 2001 erschienenen Buches Islam between Culture and Politics fertigzustellen (erschien 2005). Im Anschluss hieran ging er im Sommer 2005 als Senior Research Fellow an die National University of Singapore (NUS), wo er am Asia Research Institute (ARI) über Islam und Pluralismus in einem Team-Projekt forschte. Die Ergebnisse erschienen in dem Buch Islamic Legitimacy in a Plural Asia (New York 2007).

Prof. Tibi hatte in seiner Laufbahn 18 Gastprofessuren weltweit inne. So wirkte er zwischen 1986 und 2004 in den USA, in Asien und Afrika (u.a. in Khartoum im Sudan und in Jaoundé in Kamerun). Darüber hinaus hielt er öffentliche Vorlesungen an ca. dreißig Universitäten auf allen fünf Kontinenten. So war er u.a. Visiting Professor an der University of California in Berkeley (1994) und wieder im Spring Term 1995 und 1998 an der Bilkent University in Ankara, Türkei. Er hatte Research Fellowships in Princeton (1986/87), Ann Arbor/Michigan (Rockefeller Fellowship 1988) sowie am Asian Research Institute der NUS (Singapore 2005) inne.

Weitere Gastprofessuren folgten 2003 an der Hidayatullah Islamic State University of Jakarta (Indonesien) und im selben Jahr war er O’Brian Distinguished Professor am European Union Center of California Scripps College, Claremont, sowie im akademischen Jahr 2003/04 als Visiting Professor für Islamologie an der Universität St. Gallen. Von 2004 bis 2009 lehrte er jedes Semester einen Kurs über Islamologie an der Diplomatischen Akademie in Wien. Zu den Vorlesungen, die Tibi hielt, gehörte „Die Wiener Vorlesung“ (1999 und 2000) in der Wiener Hofburg, „The Global Village Lecture“ im Ridder Huset in Stockholm und die “Leysen Lecture” and der Université de Louvain sowie die „Bosch-Vorlesung“ in Stuttgart (1994).

Veröffentlichungen und das Werk

Tibi ist Autor von dreißig Büchern in deutscher Sprache sowie von weiteren 11 original in Englisch verfassten Monographien. Seine Bücher wurden in 16 Sprachen übersetzt. Seine letzten deutschen Bücher sind: Die islamische Herausforderung, veröffentlicht in 3. Auflage 2007 und Euro-Islam 2009; beide erschienen bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft/WBG und im Primus Verlag. 2012 veröffentlichte die Yale University Press sein zentrales Buch Islamism and Islam, mit dem er zunächst seine akademische Laufbahn beendete. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Nahost-Region folgte schließlich 2013 das Buch The Shari’a-State. Arab Spring and Democratization.

Tibi hat zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften in den USA und Deutschland veröffentlicht. Er wirkte bis zu seinem Rückzug als Consulting Editor und Peer-Reviewer der internationalen Fachzeitschriften “Totalitarian Movements and Political Religions”, und “Theoria. A Journal of Social and Political Theory” sowie als Board Member des “International Journal of Humanities”. Zwischen 1989 und 1993 war Prof. Tibi neben seinem Wirken in Göttingen und Harvard Mitglied des Fundamentalism Project der American Academy of Arts and Sciences und mitverfasste die fünfbändige Veröffentlichung des Projekts bei der Chicago University Press. Als Fellow der Rockefeller Foundation am Bellagio Center am Comer See/Italien setzte er seine in Chicago und Cambridge betriebene Forschung fort.

Er ist Autor der bei University of California Press erschienenen Monographie The Challenge of Fundamentalism. Dieses ist der erste Band einer Buch-Trilogie in englischer Sprache, die zwischen 1998 und 2012 erschien. In den Jahren 2003 bis 2006 war er Mitglied des Culture Matters Project (CMP) an der Fletcher School (Tufts University) und Mitverfasser des zweibändigen 2006 bei Routledge erschienenen Werkes Developing Cultures und auch des Cornell-Forschungsprojektes „Religion in an Expanding Europe“ (erschienen 2006 bei Cambridge University Press). Zwischen 1999 und 2001 war er für drei Jahre unter den Fellows des World Economic Forums/WEF in Davos und gehörte in diesem Zeitraum auch zu dem Team des Cambridge-Workshops, der das jährliche Davos-Forum mit vorbereitete. In deutscher Sprache sind die Bücher Der wahre Imam (1996) und Kreuzzug und Djihad 1999 seine Hauptwerke über den Islam.

Ehrungen

Der ehemalige Präsident der Cornell University, Jeffrey S. Lehman, berief Tibi als Professor at Large an seine Universität. Im Jahr 2008 war Tibi Senior Research Fellow am Center for Advanced Holocaust Studies (CAHS) am Memorial Museum in Washington DC, um über den Antisemitismus in Europa zu forschen. Den letzten Sabbatical 2008/09 vor Abschluss seiner akademischen Laufbahn verbrachte Tibi als Senior Resarch Fellow an der Yale University in New Haven/Connecticut. Im Jahr 2010 kehrt er zum CAHS als Resnick Senior Fellow zurück, wo er sein Yale-Buch Islamism and Islam abschloss, das 2012 bei Yale University Press erschien. 2012 bot ihm die Stanford University ein Senior Fellowship an, aber er zog ein Verbleiben in der Bundesrepublik vor.

1995 verlieh Bundespräsident Roman Herzog Prof. Tibi das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für sein Wirken “für ein besseres Verständnis des Islam in Deutschland und für seine Vermittlung zwischen den Zivilisationen”. 1997 wurde er vom „Biographical Institute“ (USA) zum „Man of the Year“ gewählt. Im Jahr 2003 teilte Prof. Tibi den Jahrespreis der Schweizer Stiftung für Abendländische Besinnung mit dem jüdischen Gelehrten Michael Wolffsohn in Anerkennung des Einsatzes beider für europäische Werte.

Bassam Tibi wurde am 21. November 2019 im Festsaal der Goethe Universität Frankfurt am Main in Gegenwart von 400 geladenen Gästen mit dem Preis “Vordenker des Jahres 2019 ” ausgezeichnet. In seiner Würdigung sagte Professor Thomas Schirrmacher, es sei eine “Schande”, dass Tibi im Ausland geehrt , bei uns aber ausgegrenzt werde. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 22. November 2019 den Bericht über die Preisverleihungsfeier “Bassam Tibi ist Vordenker”. Die Laudatio hielt Professor Michael Wolffsohn, der es bedauerte, dass Professor Tibi im deutschen Wissenschaftsbetrieb diskriminiert wird.

Bassam Tibi wurde am 7. September 2020 mit dem österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse von dem österreichischen Bundespräsidenten ausgezeichnet.

Tätigkeiten außerhalb der Wissenschaft

Außerhalb der Academia hatte Prof. Tibi als Medien-Person in vielen Institutionen gewirkt. So war er für fünf Jahre Mitglied der Goethe-Versammlung. Ebenso war er für fünf Jahre Mitglied des Beirates des Bosch-Kollegs für postgraduierte Förderung. Prof. Tibi prägte den Begriff “europäische Leitkultur” und ist Begründer des Konzepts eines “Euro-Islam”. Er war auch bis 2012 Mitglied des Kuratoriums der CIVIS-Medien-Stiftung der ARD und wurde 2002 in die Werte-Kommission der CDU als erster Muslim in dieser Funktion einberufen, verließ diese aber 2005 mit einem Protestschreiben der Enttäuschung an Bundeskanzlerin Angela Merkel, worin er gegen die inkompetente Integrationspolitik der Bundesregierung argumentierte. Das Austrittsschreiben an Frau Merkel blieb unbeantwortet, ebenso wie seine Beschwerde bei der damaligen niedersächsischen CDU-Landesregierung von Ministerpräsident Christian Wulff gegen die Schließung des Islamologie-Lehrstuhls und der „International Studies“ an der Universität Göttingen nach der Emeritierung von Prof. Tibi 2009.

Hiernach fand Tibi in den Medien der Bundesrepublik Deutschland kaum noch Gehör. Seitdem wirkt er nur noch international durch englisch-sprachige Aufsätze und Bücher. Zuvor war er von 1987 bis 2000 häufig Gastautor der FAZ. Auch für den SPIEGEL schrieb er von 1992 bis 2000 Essays und für den Focus Standpunkte. Eine große Wirkung erlangte Tibi 1990 bis 2001 als Islam- und Nahostexperte des ZDF. Er war nach ihrer Gründung 2000 Kolumnist bei Financial Times Deutschland.

Abschied und Rückkehr

In seinem 2009 erschienenen deutschen Abschiedsbuch Euro-Islam (Primus Verlag) erklärt Tibi seine Entscheidung, sich vom Gefecht zurückzuziehen, jedoch in Deutschland zu bleiben und nicht in die USA auszuwandern. Dies wiederholte er nach dem akademischen Jahr an der Yale University in seinem Buch „Islamism and Islam“. Der arabische Frühling zwang ihn jedoch zur Rückkehr mit dem 2013 erschienenen Buch The Shari’a-State. Arab Spring and Democratization (Routledge Press). Tibi hält weiterhin öffentliche Vorträge zu den verschiedenen Themen seines breiten wissenschaftlichen Arbeitens.

Tibis Rückkehr erfolgte einmal durch seine monatlich erschienenen Artikel in der Basler Zeitung in den Jahren 2016 – 2018 und zum anderen durch Neuausgaben seiner Bücher, die ibidem – Verlag seit 2016 veröffentlicht. Dieser Verlag hat auch die 30 Essays von Tibi in einem Buch unter dem Titel “Basler unbequeme Gedanken” veröffentlicht.